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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 16.11.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 263/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 214 Abs. 1
StPO § 304
StPO § 305
StPO § 329 Abs. 1
StPO § 329 Abs. 2
StPO § 329 Abs. 4
1. Bei vom Angeklagten eingelegter Berufung ist dessen Beschwerde gegen die Versagung eines beantragten Kostenvorschusses für die Anreise zur Berufungshauptverhandlung gemäß § 305 S. 1 StPO ausgeschlossen.

2. Gleiches gilt bei (auch) von der Staatsanwaltschaft eingelegter Berufung jedenfalls dann, wenn die gegen eine auf nicht genügend entschuldigtes Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung gestützte Anordnung von Zwangsmaßnahmen einlegbare Beschwerde noch vor Vollstreckung der Zwangsmaßnahmen beschieden werden kann.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT 2. Strafsenat Beschluß

2 Ws 263/07

In der Strafsache

hier betreffend Reisekostenvorschuß für den Angeklagten zum Erscheinen in der Hauptverhandlung

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 16. November 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner den Richter am Amtsgericht Stöber

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 12, vom 26. Oktober 2007 wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I.

Die durch den bevollmächtigten Verteidiger - wie die Auslegung ergibt: namens des Angeklagten - eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss vom 26. Oktober 2007, mit welchem das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 12, den Antrag des Angeklagten auf - nicht wie tenoriert Reisekostenerstattung, sondern, wie die Auslegung der Entscheidungsgründe ergibt - Gewährung eines Vorschusses für seine Reisekosten zur Berufungshauptverhandlung am 20. November 2007 abgelehnt hat, ist unzulässig. Der Zulässigkeit steht § 305 Satz 1 StPO entgegen, wonach Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, nicht der Beschwerde unterliegen. Eine Ausnahme nach § 305 Satz 2 StPO ist vorliegend nicht verwirklicht.

1. Die Entscheidung über eine Reisekostenvorschusszahlung an einen Angeklagten stellt keine von einer Justizbehörde zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet der Strafrechtspflege getroffene Anordnung, Verfügung oder sonstige Maßnahme im Sinne von § 23 EGGVG dar, sondern einen Rechtsprechungsakt, der als richterliche Maßnahme grundsätzlich der Beschwerde statt des Antrages auf gerichtliche Entscheidung zugänglich ist (vgl. OLG Bremen in NJW 1965, 1617; OLG Düsseldorf in MDR 1983, 689; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 23 EGGVG Rdn. 14; Schneider, JVEG Anhang Rdn. 5 m.w.N.). Rechtsgrundlage für eine derartige Entscheidung ist nicht die bundeseinheitliche, in Hamburg durch Allgemeinverfügung der Justizbehörde Nr. 15/2006 vom 26. Juni 2006 am 1. Juli 2006 in Kraft getretene bloße Verwaltungsvorschrift "Gewährung von Reiseentschädigungen an mittellose Personen und Vorschusszahlungen für Reiseentschädigungen an Zeuginnen, Zeugen, Sachverständige, Dolmetscherinnen, Dolmetscher, Übersetzerinnen und Übersetzer, ehrenamtliche Richterinnen, ehrenamtliche Richter und Dritte" (HmbJVBl 2006,71), sondern eine entsprechende Anwendung der Rechtsvorschriften über die Prozesskostenhilfe (vgl. BGH in NJW 1975, 1124; OLG Stuttgart in NJW 1956, 473).

Die genannte Verwaltungsvorschrift bestimmt nur im Gleichbehandlungsinteresse die Ausführung der Reiseentschädigung bzw. des Reisekostenvorschusses.

Aus der dem Prozeßkostenhilferecht entsprechenden Grundlage des Reisekostenvorschusses folgt im Strafverfahren nicht die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde analog § 127 Abs. 2 ZPO (so aber ohne Differenzierung zwischen den Gerichtsbarkeiten Schneider, a.a.O., Rdn. 15 f m.Rspr.-Nachw.). Wie auch sonst bei entsprechender Anwendung von Vorschriften der Zivilprozeßordnung im strafprozessualen Kostenrecht bestimmt sich das Beschwerdeverfahren nach den Grundsätzen der Strafprozeßordnung (so h.M. z.B. zu § 464 b StPO, vgl. BGH in NJW 2003, 763; Meyer-Goßner, a.a.O., § 464 b Rdn. 6, 7 m.w.N.) 2. Die somit an sich eröffnete strafprozessuale Beschwerde ist grundsätzlich gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse zulässig; dies gilt aber nur insoweit, als das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht (§ 304 Abs. 1 StPO). Eine solche Sperre für die Statthaftigkeit der Beschwerde eines Angeklagten folgt hier jedenfalls wegen der Besonderheiten des Berufungsverfahrens folgt hier aus § 305 Satz 1 StPO. Soweit in Rechtsprechung (OLG Bremen, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.) und Literatur (Tolksdorf in KK - StPO, 5. Aufl., § 214 Rdn. 13; Eschelbach in KMR, StPO, § 214 Rdn. 59; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 214 Rdn. 27; Schlüchter in SK-StPO, § 214 Rdn. 36) in Fällen einer Entscheidung über eine Reisekostenvorschusszahlung an einen Angeklagten die Beschwerde gemäß § 304 StPO für zulässig gehalten wird, ist dieses mit der Qualifizierung der Entscheidung als Rechtsprechungsakt in Abgrenzung zum Rechtsmittel des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff EGGVG begründet worden, ohne dass erkennbar die Voraussetzungen des § 305 Satz 1 StPO erörtert werden, und fehlt es an einer Differenzierung zwischen erstinstanzlichem und Berufungsverfahren.

a) Nach § 305 S. 1 StPO unterliegen Entscheidungen der erkennende Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, nicht der Beschwerde. Der Wortlaut des § 305 StPO geht über den gesetzgeberischen Grundgedanken, Verfahrensverzögerungen und widersprüchliche Entscheidungen zu verhindern, die eintreten würden, wenn Entscheidungen der erkennenden Gerichte sowohl auf eine Beschwerde als auch auf das Rechtsmittel gegen das Urteil überprüft werden müssten, hinaus und bedarf der einschränkenden Auslegung dahin, dass der Ausschluss der Beschwerde sich auf solche Anordnungen beschränkt, die in einem inneren, sachlichen Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen, nämlich ausschließlich der Vorbereitung des Urteils dienen, bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen Prüfung des Gerichts unterliegen und keine weiteren Verfahrenswirkungen äußern können (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 305 Rdn. 1 m.w.N.). Namentlich darf den Verfahrensbeteiligten durch den Aufschub der Überprüfung kein Nachteil entstehen (vgl. Engelhardt in KK-StPO, 5. Aufl., § 305 Rdn. 1 m.w.N.); das gilt insbesondere bei später nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen eines Beteiligten. b) Die Voraussetzungen für den Ausschluß der Beschwerde sind hier erfüllt.

aa) Nachdem der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Hamburg Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburrg-St. Georg vom 28. Juni 200 eingelegt haben, ist die Kleine Strafkammer 12 des Landgerichts Hamburg mit der Vorlage der Akten gemäß § 321 Satz 2 StPO erkennendes Gericht geworden (vgl. allg. Engelhardt, a.a.O., Rdn. 3).

Der Eigenschaft als erkennendes Gericht steht nicht entgegen, daß der Vorsitzende allein entschieden hat (h.M., vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 305 Rdn. 3 m.w.N.).

bb) Die Entscheidung über die Gewährung eines Kostenvorschusses für die Anreise des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung am 20. November 2007 geht der Urteilsfällung nicht nur zeitlich voraus, sondern steht auch in dem erforderlichen inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung. Sie dient der Vorbereitung der Hauptverhandlung und damit des Urteils ebenso wie etwa die ebenfalls wegen § 305 Satz 1 StPO nicht mit der Beschwerde anfechtbare Ladungsanordnung nach § 214 Abs. 1 StPO (hierzu vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 214 Rdn. 15; Schlüchter, a.a.O.; Gollwitzer, a.a.O., Rdn. 26; Eschelbach, a.a.O., Rdn. 55; Tolksdorf, a.a.O., Rdn. 11) oder die Entscheidung über die kostenlose Hinzuziehung eines Dolmetschers für Verteidigergespräche zur Vorbereitung der Hauptverhandlung (vgl. OLG Hamm in MDR 1988, 696).

Ladung und ihrer faktischen Umsetzung dienender Reisekostenvorschuß sind im Hinblick auf das Erscheinen in der Hauptverhandlung funktional vergleichbar.

Die Frage, ob der Antrag des Angeklagten auf Zahlung eines Reisekostenvorschusses zu Recht abgelehnt worden ist, unterliegt bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen Prüfung des Berufungsgerichts. Bei einem Nichterscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung muss das Berufungsgericht prüfen, ob das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt ist und bejahendenfalls dessen Berufung gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO zu verwerfen ist. Ebenfalls nur unter der Voraussetzung des nicht genügend entschuldigten Ausbleibens des Angeklagten kann über die Berufung der Staatsanwaltschaft ohne den Angeklagten verhandelt werden (§ 329 Abs. 2 Satz 1 StPO). Ein Ausbleiben des Angeklagten ist genügend entschuldigt, wenn ihm die Anreise zur Hauptverhandlung wegen unverschuldet fehlender finanzieller Mittel faktisch unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. Frisch in SK-StPO, § 329 Rdn. 25 m.w.N.), was regelmäßig wiederum voraussetzt, daß der Angeklagte sich rechtzeitig und mit hinreichender Begründung um die Erlangung eines Reisekostenvorschusses bemüht hat (zur Obliegenheit eines Angeklagten vgl. allg. Frisch, a.a.O. Rdn. 21).

Ob die genannten Voraussetzungen einer Berufungsverwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO oder einer Abwesenheitsverhandlung nach § 329 Abs. 2 S. 1 StPO vorgelegen haben, kann der Angeklagte auf entsprechende Verfahrensrüge hin mit der Revision gegen das Berufungsurteil überprüfen lassen. Das Revisionsgericht prüft, ob das Ausbleiben wegen fehlender finanzieller Mittel für die Anreise genügend entschuldigt war. Die dem Revisionsgericht zustehende Prüfungsbefugnis umfasst gemäß § 336 StPO auch die Entscheidungen, die dem Urteil vorausgegangen und nicht ausdrücklich für unanfechtbar erklärt oder mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind. Da § 336 Satz 1 StPO insoweit das notwendige Gegenstück zu § 305 Satz 1 StPO darstellt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 336 Rdn. 1), unterliegt auch die Entscheidung über den Reisekostenvorschuss für den Angeklagten der Nachprüfung durch das Revisionsgericht.

cc) Ein nachträglicher Rechtsschutz - hier durch die Revision - ist allerdings dann nicht ausreichend, wenn dem von der Entscheidung Betroffenen durch den Ausschluss der Beschwerde Nachteile entstehen, die durch eine spätere Prüfung oder die Aufhebung des Urteils nicht mehr aus der Welt geschafft werden könnten (vgl. Frisch, a.a.O., § 305 Rdn. 14 m.w.N.). Das steht jedenfalls im konkreten Fall nicht zu befürchten.

Ein solcher Nachteil kann bei erstinstanzlicher Hauptverhandlung darin liegen, daß im Falle nicht genügend entschuldigten Ausbleibens des Angeklagten gem. § 230 Abs. 2 StPO dessen Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen ist (diese Folge mag unausgesprochener gedanklicher Hintergrund der eingangs Ziff. 2 angeführten Gegenauffassung sein). Anders verhält es sich bei einer Verhandlung über die Berufung eines Angeklagten. Ist der Angeklagte unentschuldigt ausgeblieben und liegt, wie hier, ein Fall zulässiger Vertretung nicht vor, so hat das Gericht dessen Berufung gem. § 329 Abs. 1 StPO zwingend zu verwerfen; für eine Anordnung von Zwangsmitteln nach § 230 Abs. 2 StPO ist kein Raum (zur Verwerfungspflicht vgl. Frisch, a.a.O., § 329 Rdn. 42).

Über eine Berufung der Staatsanwaltschaft wird bei unentschuldigtem Ausbleiben des Angeklagten regelmäßig in dessen Abwesenheit verhandelt (§ 329 Abs. 2 S. 1 StPO). Jedoch kann insbesondere im Aufklärungsinteresse (§ 244 Abs. 2 StPO) die Anwesenheit des Angeklagten erforderlich sein; diesenfalls ist gem. § 329 Abs. 4 StPO die Vorführung oder Verhaftung des Angeklagten anzuordnen. Gegen eine solche Anordnung von Zwangsmitteln steht dem Angeklagten gem. § 304 Abs. 1 StPO der Rechtsbehelf der Beschwerde offen, die gem. § 305 S. 2 StPO nicht nach Satz 1 dieser Vorschrift ausgeschlossen ist. Die Überprüfung der fehlenden genügenden Entschuldigung des Ausbleibens als Voraussetzung von Vorführungs- und Verhaftungsanordnung auf Beschwerde gegen das Zwangsmittel könnte indes ebenso wie die Überprüfung auf Revision zu spät kommen, da das Zwangsmittel häufig noch vor einer Entscheidung über den Rechtsbehelf vollstreckt wird. Ob deshalb bei Berufung (auch) der Staatsanwaltschaft regelmäßig § 305 S. 1 StPO eine Beschwerde gegen die Versagung eines Reisekostenvorschusses für den Angeklagten nicht ausschließt, kann dahinstehen. Die fallspezifischen Verhältnisse sichern, daß eine Beschwerde gegen etwaige Anordnungen von Verhaftung oder Vorführung rechtzeitig vor Vollstreckung beschieden werden würde. Die Zwangsmittelanordnung erfolgt grundsätzlich in der Hauptverhandlung (zu § 230 Abs. 2 StPO vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 230 Rdn. 24); sie wird damit dem Verteidiger (und folglich mit allenfalls kurzer Verzögerung dem ausgebliebenen Angeklagten) bekannt. Damit steht auch faktisch der Weg zur alsbaldigen Einlegung einer Beschwerde offen. Der Vollstreckung der Zwangsmittelanordnung steht hingegen für zumindest längere Zeit entgegen, daß der Angeklagte, der die polnische und australische Staatsangehörigkeit innehat, in Australien lebt und eigenem Vorbringen zufolge weder bereit noch in der Lage ist, nach Europa zu reisen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Zwar hat das Landgericht dem Angeklagten mit dem Hinweis auf das Rechtsmittel der Beschwerde eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung erteilt. Die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung ist indes vor dem Hintergrund, dass die Beschwerde von veröffentlichter Rechtsprechung und Literatur für zulässig erachtet wird, nicht offensichtlich grob fehlerhaft, so dass kein Fall des § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG vorliegt.

Ende der Entscheidung

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